So eine Art Tagebuch
Eva Maria Hofer, TiB-Ensemblemitglied, ist seit 6 Monaten im Sabbatical.
Rijeka 26.9. 2022
Der Kofferraum von einer reisenden Clownin,
oder ein paar ausgeborgte Dinge für eine Theaterperformance in Rijeka. Ein halbes Jahr Weiterbildungskarenz ist vorüber
und ich habe das Gefühl, es ist noch gar nicht so richtig losgegangen.
Ganz ohne Kunst geht es nicht.
Im Juli habe ich in Rijeka eine Gruppe von Leuten getroffen und mit ihnen getanzt und geredet. Aus ihren Erzählungen habe ich im August ein Stück geschrieben, das sie dann von englisch auf kroatisch übersetzt haben. Im Laufe dieses Prozesses wurde in unserer Whatsappgruppe auch mehr und mehr auf kroatisch kommuniziert. Spannend, das mit den Sprachen.
Jetzt soll in wenigen Tagen daraus eine Performance werden. Nach meiner Ankunft möchte ich ins Zentrum, um Kollegin und ihren Sohn zu treffen. Er freut sich auf den Hund. Der Hund und ich brauchen Bewegung.
Der Vermieter sagt, durch den Wald sind es 20 Minuten, ich brauche 40. Ein wilder Weg durch kroatische Macchia, Gerüche von Mastix, Thymian, Rosmarin nach dem Regen unten der Hafen, das Meer, vorbei an einem Fußballstadion, weiter auf Ausfallstraßen mit engen Gehsteigen, auf denen Autos parken, alte Busse rauschen vorüber, Graffitis mit Vucovar, Srebrenica, never forget, Plattenbauten, Einkaufszentren, Baustellen, dazwischen Oliven und Wein.
Wir sitzen, ich trinke ein Bier, der kleine Sohn tollt mit dem Hund herum, eine Katze macht einen Buckel.
Nach dem Treffen setzt mich die Kollegin im strömenden Regen bei einem Einkaufszentrum ab, in der Dunkelheit hinauf durch den Wald, das Handy ist aus, viele kleine Pfade, die Bierdose platzt und es tropft aus dem Sackerl. Der Hund bringt mich heim, ich bin stolz auf ihn, er kann doch mehr als stinken.
Rijeka 27.9.2022
Ich parke das Auto bei einer Bushaltestelle und wir entladen die Sachen und bringen sie in den Proberaum. Filodramatica, ein altes Gebäude in der Fußgängerzone. Regen, ein Wetter wie in England sagt die Kollegin, so war es hier noch nie um diese Jahreszeit. Dazwischen Sonnenschein, mir wird es doch noch warm.
Treffen, besprechen, lesen, es klingt schön, ich versuche ungefähr zu hören, wo im Text wir sind. Die Zeit vergeht schnell, so viele Fragen und Meinungen, zuhören, nicht bewerten und mit Liebe betrachten, was entsteht, dann geht alles einfach. Und macht allen Spass.
Danach trotzdem müde. Abends wieder ein Wolkenbruch. Sitze unter der Laube und schaue zu.
Rijeka, 28.9.2022
Fast alle arbeiten heute, meine Vormittage sind also frei, ich beschließe, ans Meer zu gehen. Die Mutter des Vermieters sagt im tiefsten Tiroler Dialekt: Früher, als die Kinder klein waren, war das leicht, jetzt sind da Siedlungen und der Highway. Zum Hund sagt sie: Tua nit schreien mit mirrrr. und ich sage stur, wird schon gehen, von hier oben schaut es aus, als wär das Meer ganz nah. Bei Google gebe ich den nächsten Strand ein, 2 km Luftlinie, 5,8 km auf Wegen. Durch den Wald bergab, denke ich, stur. Es geht auch ganz gut. Erst Macchia, dann kleine Straßen, steil bergab, schöne Häuser, die Plattenbauten nur von weitem, unten Industrie. Ich unterquere den Highway, noch weiter steil bergab auf einem romantischen Fußweg mit vielen Treppen, da runter sagt eine schnaufende Frau und dann links. Aha, wie weit links, ich komme in ein Fabrikgelände, ein kleiner Pfad, durch Dornen, nach einiger Zeit leider abgesperrt. Das nächste Fabrikgelände, aber endlich am Hafen, wir klettern über die Mauer und über Felsen, Hund und ich voller Angstlust, aber rein müssen wir.
Nachmittags treffen wir uns mit den wenigen, die Zeit haben, basteln an Kostümen und Requisiten, schreiben Listen, tragen die Sachen wieder ins Auto und gehen in Secondhand-Shops, um Kostüme zu kaufen. Dann Wolkenbrüche, einer wilder als der andere, das Wasser rinnt über die Stadt, als ob sie untergehen müsse. Langsam ist es genug, finde ich, aber dem Wetter ist das egal.
Rijeka, 29.09.2022
Die Sicherung ist gegangen und ich war eine Nacht ohne Strom, draußen Sturm, Regen und Blitz. Der Vermieter zeigt mir den Sicherungskasten und ein Video von dem - wie er sagt, Kataklysma in der Innenstadt, Straßen schauen aus wie Flüsse. ``Da musst du heute hin, sagt er.. Irgendwie doch ein bisschen unheimlich, die heutigen Pläne aufgeschoben, da meine Kollegin ihren Sohn nicht in die Schule geschickt hat, weil er vor Aufregung Fieber hatte. Der Bürgermeister warnt, bei Regen rauszugehen und auf keinen Fall durch Pfützen zu fahren, da darunter die Kanaldeckel weggeschwemmt sein könnten. Wir warten, es donnert schon wieder.
29. September 2022